35 Jahre Tschernobyl – was damals geschah
Was geschah in Tschernobyl?
Vor genau 35 Jahren kam es zu dem Verehrenden Unglück im ukrainischen Kernkraftwerk „Чернобыльская АЭС имени В.И.Ленина” (auf Deutsch: „Kernkraftwerk Tschernobyl benannt nach W. I. Lenin“), dass die Sicht auf Atomkraft für immer verändert hat. Aber wie genau kam es zu dem Unfall und was war die Reaktion der Sowjetischen Regierung?
Am 25. April 1986 sollte im Atomkraftwerk Tschernobyl die Stromversorgung des Reaktor 4 auf 25% runtergefahren werden. Ein kleineres Routine-Experiment. Zur Sicherstellung, dass bei einem möglichen Stromausfall die Rotationsenergie der Turbine genügen würde Energie zu produzieren, bis die Notstromaggregate den Betrieb wieder aufnehmen würden. Alle vorherigen Experimente dieser Art sind missglückt, aber dieses Mal wollte man die Energie auf 20% – 30% halten. Um den Versuch neu starten zu können, falls es Komplikationen geben sollte. Für den Test wurden zuvor etliche Sicherheitssysteme heruntergefahren und nur vier der acht Kühlpumpen waren aktiv.
Nach einer kleinen Verspätung wurde das Experiment am 25.04. um ca. 23:00 Uhr neu gestartet und schon am 26.04. um 00:28 Uhr gab es ein Problem. Die Energie des Reaktors fiel unter den nötigen Mindestwert, um ihn zu kontrollieren. Im schlimmsten Falle sollte der Reaktor auf 20% der Stromversorgung sinken. Dies wäre der niedrigste Wert der Stromversorgung, bei der der Reaktor noch kontrolliert werden könnte. Aber am 26.04. um 00:28 Uhr Ortszeit wurde dieser Wert um 19% unterschritten.
Bis heute ist nicht geklärt wieso genau die Reaktorenergie plötzlich auf ein Hundertstel des gewöhnlichen Energieverbrauchs gefallen ist. Was wir aber heute wissen ist, wie die Arbeiter im Kernkraftwerk reagiert haben. Das Protokoll verlangt eigentlich, dass die Bedienmannschaft den gesamten Reaktor herunterfährt und alle Einstellungen überprüft bevor sie versuchen die Energiezufuhr zu erhöhen. Aber sie entschieden sich dagegen und entfernten die Brennstäbe aus dem Reaktorkern, um die Leistung des Reaktors so zu erhöhen. Dies erhöhte die Gesamtenergie des Reaktors nach einer halben Stunde auf 7%. Um 01:23 Uhr entschied sich der Schichtleiter des Kernkraftwerks für eine Notabschaltung. Diese verschlimmerte die Situation nur.
Aufgrund eines Konstruktionsfehlers drückten die Brennstäbe einige Graphitstücke in den bereits instabilen Reaktorkern, was die Kettenreaktion im inneren verstärkte. Innerhalb von Sekunden kam es zu einem Leistungsanstieg auf das Hundertfache. Die enorme Hitze, die durch den plötzlichen Energieanstieg entstand, lies die Druckröhren bersten und einen Teil des Brennstoffs wurde in winzige Stückchen zerrissen.
Das Kühlwasser war der enormen Hitze nicht gewachsen und verdunstete so innerhalb von Sekunden. Zwei schnell aufeinanderfolgende Explosionen rissen das Dach des Reaktorgebäudes weg. Luft gelangte in den Reaktor, wodurch das erhitzte Graphit im Inneren in Brand geriet. Rauch stieg 1.200 Meter in die Atmosphäre und trug den radioaktiven Staub mit sich. Der Reaktorkern wurde zerstört und die Kettenreaktion im Inneren gestoppt, bevor sie die anderen Reaktoren erreichen konnte. Vorerst.
Einige Teile der zerstörten Graphitblöcke wurden während den Aufräumarbeiten außerhalb des Reaktors gefunden. Um 05:00 Uhr wurde das Feuer außerhalb des Reaktorgebäudes gelöscht. Die Versuche das Feuer im Inneren des Gebäudes mit Wasser zu löschen schlugen fehl. In der drei Kilometer entfernten Stadt Pripjat wurde ein Strahlungswert gemessen, der das 600.000 fache der üblichen Norm überschritt.
Am 27.04. wurden die Bewohner der Stadt Pripjat in 2.700 Bussen evakuiert. Die drei anderen Reaktoren wurden abgeschaltet, um eine mögliche Kettenreaktion zwischen den vier Reaktoren zu vermeiden. Um das Feuer im Inneren des vierten Reaktorblocks zu löschen wurden große Mengen Blei, Borkarbid, Dolomit, Lehm und Sand aus Hubschraubern in die Flammen geworfen. Das Gegenteil des gewünschten Effekts trat ein, die Temperatur stieg auf 180 Grad in 200 Metern über der Abwurfstelle.
Die Regierung der Sowjetunion schickte sogenannte „Liquidatoren“ um die Umgebung um den Reaktor aufzuräumen (die Graphitblöcke von außerhalb des Reaktors wurden wieder in das Gebäude geworfen). Es dauerte zehn Tage bis schließlich Stickstoff in das Gebäude gepumpt werden konnte und der Brand im Inneren am 06.05. gelöscht wurde.
Die Sowjetische Regierung verschwieg den GAU. Somit war die Verwirrung groß, als am 06.05. nahe des Schwedische Atomkraftwerkes Forsmark ein erhöhter Strahlungswert gemessen wurde, ohne das er aus dem Schwedischen Kraftwerk zu kommen schien. Erst als die Nachrichtenagentur „Tass“ eine Kurzmeldung, zu einem Unfall in einen Kernreaktor in Tschernobyl, veröffentlichte, wurde von eine Verbindung zwischen den erhöhten strahlungswerten in Schweden und den GAU in der Sowjetunion vermutet.
Am 5.05.1986 wurde die Umgebung in einen 30 Kilometer Radius um das Kernkraftwerk, aufgrund der steigenden Strahlungswerte, evakuiert. Der Reaktorkern wurde mit 6.000 Tonnen Sand und Borsäure zugeschüttet. Trotzdem glühte der Kernbrennstoff auf dem Grund immer noch. Um eine mögliche Kettenreaktion zu verhindern, wurde 2.400 Tonnen Blei auf den bereits zugeschütteten Reaktorkern abgeworfen.
Erst am 14.05.1986 adressierte der Sowjetische Präsident Gorbatschow sich an die Bevölkerung. Im Laufe des Jahres wurden 100.000 Soldaten nach Tschernobyl geschickt, die mit den 400.000-900.000 Zivilisten, als sogenannte „Liquidatoren“ die Aufgabe hatten die Radioaktivität zu minimieren (z.B. durch Hubschrauber, die klebrige Flüssigkeiten abwarfen und somit den radioaktiven Staub banden).
Im Juli wurde begonnen einen „Sarkophag“ zu bauen, der die radioaktive Strahlung in den Bereich des Reaktor 4 halten sollte, indem er das Gebäude ummantelte. Vier Monate nach dem Baubeginn wurde das Projekt im November beendet.
Die Anzahl der Opfer wird von dem Tschernobyl-Forum (dessen Mitglieder beinhalten: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Internationale Atomenergie-Organisation) auf 4.000 Menschen geschätzt, die direkt wegen der Strahlung gestorben sind. Außerdem gibt es in der Region eine erhöhte Anzahl an Menschen, die an Schilddrüsenkrebs leiden. Noch heute gibt es um das Atomkraftwerk eine Sperrzone mit einem Radius von 30 Kilometern.
Wenn man dieses Ereignis betrachtet, das vor genau 35 Jahren mit einem Routinetest begann, ist es unmöglich zu behaupten, dass wir die Atomkraft aus demselben Licht betrachten wie damals. Es hat sich von Grund auf verändert, wie wir mit unserer Stromquelle auskommen.
Ein Gastbeitrag von Luca Hartmann
Quellen:
https://www.bmu.de/themen/atomenergie-strahlenschutz/nukleare-sicherheit/tschernobyl-und-die-folgen/
https://de.nucleopedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Tschernobyl
Bildquellen:
Titelbild: Marco Fieber Чорнобиль // Chernobyl // Tschernobyl | Reactor Four with th… | Flickr