„Wir haben angefangen zu lachen… aus Verzweiflung“ – Die Panne der Behörde beim Bio Abi 2021

Die Anspannung im Raum ist zum Greifen nahe… kein Wunder, schließlich wird hier gerade Abitur geschrieben. 4 Stunden sitzen die Schüler schon an einem bewölkten Montagmorgen in der Schule und brüten über den Biologieaufgaben, die nicht so Recht zu knacken sind. Mit dem Glockenschlag um 14:00 Uhr platzt eine Lehrerin durch die Tür und ruft: „Die Behörde hat euch falsches Material gegeben, die Aufgaben sind so nicht lösbar.“

„Kneif mich mal“, sagt ein Schüler. Doch es ist kein Traum, es ist ein Alptraum, der Realität geworden ist.

Zwei der drei Themenvorschläge für das Biologieabitur 2021 (Ökologie, Evolution und Genetik) enthielten Fehler in den Materialien. Da man sich aus den drei Themenbereichen zwei zum Bearbeiten raussuchen muss, war ausnahmslos jeder Schüler in mindestens einem Fall betroffen. Laut der Pressemitteilung der Bildungsbehörde Hamburg seien rund 2.990 von 9.900 Abiturienten betroffen. Grund für diesen Fehler seien die Umwandlung von Textprogrammen und die falsche Zuordnung von Grafiken.

Da ist man nur froh, dass man selber nicht in der Rolle der 2.990 Schüler*innen steckt. Mit zwei von ihnen habe ich gesprochen, um zu erfahren, wie es ihnen in der Situation ergangen ist:

Linda F. (Interviewer): „Was ist passiert, nachdem ihr von der Lehrerin von den Fehlern erfahren habt?“

Lilli H. (Biologie- Abiturientin): „Wir haben angefangen zu lachen, nicht aus Freude sondern aus Verzweiflung. Es war einfach eine absurde Situation, man kann das ja gar nicht so schnell realisieren. Erst kommt der Schock, dann die Verwirrung; für viel mehr ist keine Zeit. Du musst ja sofort wieder abliefern und weiter schreiben. Aber die Kraft und Konzentration ist von dem Punkt an weg. Dann geht es nur noch bergab. Es war bis zum Schluss total unruhig, alle haben andauernd getuschelt. Die Wut kommt erst, wenn man aus dieser angestrengten Prüfungssituation raus ist und mal über das Ganze nachdenkt.“

Kathi S. (Biologie- Abiturientin): „Ich war sogar ein bisschen erleichtert, als wir erfahren haben, dass die Aufgaben fehlerhaft waren. Schon zu Beginn des Schreibens habe ich rumgeknobelt, was die Aufgabenstellung von mir will. Ich dachte, es liegt an mir. Dass die Behörde unlösbare Aufgaben stellt, ahnt man ja nicht. Nach der Nachricht der Lehrerin hat alles Sinn gemacht. Doch die Erkenntnis, dass man selber nicht Schuld ist, erreicht einen zu dem Zeitpunkt nicht. Wir alle sind aus der Klausur rausgegangen mit der Einstellung, dass wir es richtig verhauen haben. In der angehängten Stunde extra Bearbeitungszeit kann man nicht korrigieren, was man volle vier Stunden zuvor geschrieben hat.“

Linda F. : „Euch wurde ja das Ultimatum gestellt, entweder zu Ende zu schreiben und eine mildere Bewertung zu erhalten oder abzubrechen und in die Nachschreibklausur zu gehen. Wie wurde dieser Vorschlag von euch aufgefasst?“

Kathi S. : „Kein einziger aus unserem Kurs ist gegangen, wir haben alle bis zum Schluss durchgezogen. Diese Möglichkeit zu gehen, wurde uns ja erst 45 Minuten vor der ursprünglichen Abgabezeit gewährt. Die vier Stunden Arbeit, die wir schon hineingesteckt hatten, wollten wir nicht verlieren. Für mich war es nie eine Option nachzuschreiben; vielleicht, wenn uns die Fehler früher mitgeteilt wurden. So muss ich jetzt mit den ungünstigen Umständen leben. Nur zwei Schüler aus dem erhöhten Kurs haben abgebrochen, die hatten aber auch von vornherein mehr Zeit.“

Lilli H. : „Das ist so eine absurde Vorstellung der Behörde, dass wir ja einfach die Klausur nachschreiben können. Für mich ist Nachschreiben auch nie in Frage gekommen. Dieser psychischen Belastung, die ohnehin durch Corona schon verstärkt ist, setzte ich mich nicht nochmal aus. Der Nachschreibtermin ist auch innerhalb der Vorbereitungszeit für das mündliche Abitur. Ich hätte da gar keine Zeit, mich nochmal intensiv ins Thema Biologie zu vertiefen. Der Vorschlag einer Nachprüfung ist einfach so fernab der Realität.“

Linda F. : „Was sind eure abschließenden Gedanken und Wünsche?“

Lilli H. : „Ich bin froh, dass unserer Lehrer die Situation, so gut sie konnten, unter Kontrolle behalten haben. Auch sie wussten zu dem Zeitpunkt ja oft nicht viel mehr als wir Schüler. Leider war unserer Kursleitung nicht anwesend. Eine Unterstützung einer vertrauten Person hätte in diesem Moment mehr Sicherheit bedeutet.
Am Ende kann man einfach nur den Kopf schütteln und sich fragen, was da schief gelaufen ist.“

Kathi S. : „Ja, da schließe ich mich an. Das mindeste ist es doch, dass man über ein so offizielles Dokument rüber guckt. Ich finde es ein Unding, dass man uns Schüler*innen so etwas zumutet. Das Mindeste wäre doch eine offene und ehrliche Entschuldigung der Behörde, die den Fehler hauptsächlich zu verschulden hat.“