Heidi, wir haben kein Foto für dich – realitätsfern und lasch: das GNTM-Finale 2020

Achtung: die folgenden Kommentare von Lina, Pia und Rosalie können Spuren von Satire und Ironie enthalten!

 

Am vorigen Donnerstag wurde das 15. Germanys Next Topmodel-Finale ausgestrahlt. Obwohl das eingespielte Klatschen im Hintergrund sich so echt anhörte, dass man das Gefühl hatte im Publikum zu sitzen, schien Jackie sich nicht so richtig freuen zu können, als sie alleine über einen Fernsehbildschirm erfuhr, dass sie gewonnen hat. Die restliche Sendezeit füllte Pro Sieben mit den unfassbar lustigen Anmoderationen von Starfotograf Christian Anwander über seine Lieblingssocken. Die Stimmung war zum Zerreißen gespannt.

Als aufmerksamer Zuschauer könnte man sich nun die Frage stellen, warum das Finale nicht verschoben wurde. Die Antwort darauf ist sehr simpel und ebenso ernüchternd: es geht um Geld. Es gibt schon einen Grund, warum Heidi immer so fröhlich in die Kamera lächelt, wenn sie sagt: „Und wir sehen uns wieder nach einer kurzen Werbepause.“ Denn die durchschnittlich 89 Werbespots in einer Folge GNTM sind weder kurz noch günstig. Pro Sieben hat mit einer Folge GNTM schon mal 3,9 Millionen Euro verdient und auch Heidi streicht mit einer Staffel mal eben 8 Millionen Euro ein.

Außerdem gibt es viele Produktplatzierungen, zum Beispiel konnte der talentierte Modedesigner Philipp Plein im Finale nicht nur seine wunderschöne Modekollektion vorstellen, sondern hatte auch – oh Zufall – sein neues Parfum dabei.                                                                                                            Die Kandidatinnen sind letztendlich Marionetten der Show. Diese Ironie wurde auch direkt im Marionetten-Walk aufgegriffen, als sie in Dessous vor Christian Anwander und Thomas Hayo entlangliefen, pures Entertainment.
Fakt ist die Finalistinnen müssen einen Vertrag mit der Agentur von Heidis Vater über zwei Jahre unterschreiben. Viele der Models haben in der Vergangenheit über die Zusammenarbeit geklagt. Außerdem schafft kaum eine den Karrieresprung, viel eher sieht man Kandidatinnen wie Gisele Oppermann und Theresia Fischer im Dschungelcamp oder bei Promi Big Brother wieder. Mit Modeln hat das nicht mehr viel zu tun.

Als wäre das nicht schon genug, gibt es in Zeiten von Corona wirklich bedeutsamere Probleme als Entertainment zu erzwingen, um keine Verluste zu machen. Ähnlich wie bei der Fußball Bundesliga wird Profit über Menschlichkeit gestellt. Aber Heidi musste sich ja auch nicht für zwei Wochen in Quarantäne begeben, denn sie sitzt lediglich im Studio. Zwei Gewinner gibt es bei diesem Wahnsinn auf jeden Fall von vornherein, Heidi Klum und Pro Sieben.

And the winner is: Philipp Plein

Das diesjährige GNTM-Finale wurde grandioserweise mit dem Auftritt des sympathischen und Tip Top Designer Philipp Plein bereichert, der mit einem zu seinem Attitude passenden Auto auf der Bühne erschien. Der bescheidene Designer gibt selbst an, lediglich über eine Trilliarde Euro zu verfügen. In einer der letzten GNTM-Folgen konnte man schon seine, natürlich allergrößte, und allerbeste Fashion Show der Welt bewundern. In dieser Show durfte die Kandidatin Tamara, obwohl sie stolperte, mitwalken. Allerdings nur, weil Philipp Plein sein großes Herz mal wieder zeigte. Jedoch hatte er Tamara nach ihrem Lauf über den längsten Laufsteg der Welt stark kritisiert: In Form einer „Kopf-ab“-Geste. Das war für Tamaras Fans das Allerletzte und Plein erntete einen riesigen Shitstorm. Doch bei der Finalshow zeigte er seinen wahren Charakter und lobte alle Mädchen. Zusätzlich lud er Tamara zu seiner nächsten Fashion Show ein und so strahlte er gönnerhaft den ganzen Abend. Durch die lustigen Witze von ihm konnte man glauben, dass das eingespielte Lachen und der Applaus echt sein könnten. Als dann zum Ende der Show auch noch bekannt wurde, dass die Gewinnerin auf einem Plakat mit ihm und seinem allerbesten Parfüm (NO-Limits) abgebildet wird, war der Gau perfekt. Plein sagte dazu, dass wird wirklich das allergrößte, denn Sarah und Jackie kämpften förmlich um ihr Leben. Zu guter Letzt präsentierte er noch die teuerste Jacke der Welt für die er mindestens eine halbe Million Euro will. Das Geld soll zwar an das christliche Kinder- und Jugendwerk Arche in Berlin gespendet werden, man fragt sich aber trotzdem, ob das jetzt eine Werbeshow für Philipp Plein geworden ist. In einem Interview vor der Sendung sagte er:“ Das wird wirklich das Allergrößte!“ Es wird mir mal wieder Spaß machen beim *Topmodell* dabei zu sein.

Eine Erdbeerrolle als Sinnbild des Niveau-Tiefpunkts

Auch wenn die einzige und wahre Hauptdarstellerin persönlich nicht erscheinen konnte, nur zu sehen über einen nach schlechten Requisiten aussehendem, rollbaren Koffer, sollte jedem klar sein, dass es absolute Priorität hat, das alljährliche, immer gleiche, frauenverachtende GNTM-Finale zu senden und es auf die maximale Länge zu strecken. Angefangen mit einem unglaublich unlustigen Teaser, bei dem Christian Anwander, der Co-Juror in diesem Finale seine Socken sucht, bis hin zur traurigen Verkündung der Siegerin, die alleine neben einem Fernseher auf der Bühne in Tränen ausbricht.

Absolutes Highlight des Abends, der Marionetten Walk: zwei junge Frauen walken sexy über den Laufsteg während zwei, Champagner süffelnde Herren in den 50ern laut lachend und Erdbeerrolle verdrückend das ganze Spektakel auf sich wirken lassen. Emanzipation lebt!

Ein anderes nennenswertes „Highlight“ des Finales war der Ausstieg von Lijana auf Grund von Hetzte im Internet. Die Show hält es für nicht so wichtig, es richtig zur Sprache zu bringen. Mit einem sehr wenig überraschend klingendem: „Das war jetzt echt überraschend“ von Heidi ist die Sache in zwei Sekunden wieder gegessen. Dabei zeigt der Fall von Lijana doch ganz genau das gnadenlose Versagen der Show auf jedem Niveau. Nicht nur, dass sie alle Jahre wieder ein Mädchen zur Zicke küren müssen, nein, sie müssen es auch noch so weit treiben, dass Lijana freiwillig am Ende aussteigt, um dem Hass zu entgehen. Wow, Leistung geglückt! Gegen Hetze im Internet hat GNTM übrigens ein nicht besonders sehenswertes Tik Tok hochgeladen, indem man die 20 Kandidatinnen auf der Tribüne mit dem Arsch wackeln sieht. Völlig realitätsfern läuft diese Show mitten in Zeiten von Corona – aber hey, ein bisschen Unterhaltung muss sein. So einfach ist es gar nicht, die 90 Minuten Sendezeit ohne Show Acts zu füllen. Da bleiben wohl nur noch Werbeunterbrechungen, langweilige Walks und die Erdbeerrolle für Thomas Hayo, um ein bisschen Entertainment vorzugaukeln. Aber wenn Heidi eine Internetunterbrechung faked, um einen Lacher zu kassieren, wenn man sich anschaut, wie ein Mädchen, Dank Pro Sieben, auf Grund von Cyber-Mobbing ihren Traum aufgibt und sich, unter Tränen, ganz alleine  für ihre „Personality“ rechtfertigen muss, dann muss man sich vielleicht fragen, auf welchem Niveau wir weiter Fernsehen schauen wollen.