Feature: „Alles muss viel zu schnell in unseren Kopf rein.“

 

Angestrengt versucht Nico B. aus der 9. Klasse, die Matheaufgaben zu bearbeiten. Der Druck auf dem Gymnasium ist sehr viel für ihnl. „Ich sitze täglich ca. anderthalb Stunden an Schularbeiten. Für Arbeiten lernen, Hausaufgaben machen und Sonstiges, das gerade ansteht.“, sagt er, während er eine Formel bildet. In der Schule fühlt sich Nico auch nur wegen seiner Freunde wohl. „Es hängt von den Fächern ab, aber eigentlich fühle ich mich nur wegen den Leuten wohl, nicht wegen der Schulatmosphäre.“ Der Druck wird mehr, verstärkt durch die aktuelle Situation. „Auch durch den Lock down hat die Lage sich verschlimmert. Alles muss viel zu schnell in unseren Kopf rein. Uns wird jetzt schon Druck wegen unseren schriftlichen Überprüfungen gemacht, welche wir erst in zwei Jahren schreiben“, meint Nico B. und ergreift wieder den Stift, um seine hoffentlich richtige Rechnung aufzuschreiben.

 

Nicht nur Nico muss sich viel für die Schule anstrengen. Laut einer Studie von der DAK aus dem Jahre 2017, in welcher 7.000 Schüler und Schülerinnen zwischen 10 und 18 Jahren aus sechs verschiedenen Bundesländern in Deutschland interviewt wurden, leiden etwa 43% Schulkindern unter Stress. Dies ist fast die Hälfte der Befragten. Ein Drittel der gestressten Schüler leidet zudem noch unter Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Schlafproblemen. Die Umfrage ergibt ebenfalls, dass Mädchen häufiger gestresst sind als Jungen. Etwa 50% der Schülerinnen leiden unter Stress, wobei es bei den männlichen Schülern nur 37% sind. Circa 35% der Schüler haben oft Kopfschmerzen, 30% haben Rückenschmerzen und Schlafprobleme. Insgesamt sind 40% der Schüler der Meinung, dass sie zu viel für die Schule tun.

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/77981/Fast-jeder-zweite-Schueler-leidet-unter-Stress

Durch den ganzen Stress greifen die Schüler immer öfter zu Energydrinks. In der 10. Klasse haben es etwa 84% schon einmal ausprobiert. Sogar die Fünftklässler sind betroffen.

 

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/77981/Fast-jeder-zweite-Schueler-leidet-unter-Stress

Auch das Hausaufgabenpensum verstärkt, dass die Schüler unmotivierter werden. „Ich habe keine Lust nach der Schule noch zu lernen. Man lernt in der Schule, warum sollte ich mich danach nochmal hinsetzen?“, so Sophia H., 9. Klasse. „Ich tue viel zu viel für die Schule. Ich lerne sehr viel, weil ich gerne gute Noten haben möchte, doch es hilft trotzdem nicht.“

 

Selbst manche Lehrer und Eltern sind selber ebenfalls der Meinung, dass der Druck für Gymnasial-Schüler sehr hoch ist. „Ich glaube, dass die Schule für die Schüler und Schülerinnen oftmals ziemlich anstrengend ist. Ihr habt viele unterschiedliche Fächer und müsst vielen unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden“, so ein Mitglied der Schulleitung, „Die Schultage sind oftmals lang, Hausaufgaben und das regelmäßige Lernen kommen hinzu, wenig ist das sicherlich nicht und einigen von euch ist das bestimmt manchmal auch zu viel – das verstehe ich gut“. Diesen Satz können viele Schüler unterschreiben. Die Schüler werden immer erschöpfter und sehnen sich schon nach ein paar Wochen wieder nach den nächsten Ferien. Vor allem dann ist der Druck am Höchsten, da jeder natürlich so schnell wie möglich Ferien haben möchte und niemand mehr viel Motivation besitzt. Sogar den Lehrern fällt es auf. „Ich finde man merkt den Schülern und Schülerinnen kurz vor den Ferien häufig an, dass sie dringend eine Pause brauchen“, so eine Lehrerin, „In den höheren Stufen bewirkt die Erschöpfung dann eher, dass die Schüler dann keine Lust mehr auf Gruppen- und Projektarbeiten haben, sondern lieber entspannt „Frontalunterricht“ machen wollen. In den unteren Stufen gibt es meiner Erfahrung nach kurz vor den Ferien spürbar mehr Konflikte und Streit, weil alle etwas angespannter und schneller genervt sind.“ Auch die Eltern sind von dem hohen Druck betroffen. Eine im Homeoffice arbeitende Mutter einer Sechstklässlerin meinte: „Ich bin im Schnitt eine Stunde am Tag damit beschäftigt, meinem Kind bei der Schule zu helfen. Parallel muss ich noch arbeiten und den Haushalt machen. Das Thema Schule ist viel präsenter als noch zur Grundschulzeit. Der Übergang von der Grundschule zum Gymnasium war schon heftig und die Kinder werden nicht gut auf diesen Wechsel vorbereitet. Und natürlich ist der Lernstoff viel anspruchsvoller, so dass sich die Kinder auch intensiver mit Schule beschäftigen.“.

 

Was die Psychologen zu diesem Thema sagen?

Auf E-Mails antworten sie zwar innerhalb von 26 Minuten, für Fragen haben sie jedoch keine „zeitlichen Kapazitäten“. Zum Glück war Dr. Janin Buchholz, Chefärztin der Oberberg Fachklinik Marzipanfabrik in Hamburg, bereit, einige Fragen zu beantworten. Auf die Frage hin, was sie Schülern raten würde, die unter hohem Druck stehen, meinte sie: „Zunächst einmal ist es wichtig, dass die Schüler und Schülerinnen sich eine Vertrauensperson suchen, der sie sich mitteilen möchten.  Das können die Eltern oder andere Familienmitglieder sein, Freunde oder auch Vertrauenslehrer und Schulpsychologen. Bei schwerwiegenden Problemen ist es gut, sich auch professionelle Hilfe zu suchen (Beratungsstellen, Kinder- und Jugendtherapeuten). Ein weiterer Schritt ist es zu verstehen, woher der viele Stress kommt. Vielleicht ist es eher der Schulstoff an sich, vielleicht aber auch eher die Pausensituation mit den Mitschülern, oder aber etwas ganz anderes.“

 

Als Lösungsvorschlag sind viele Schüler der Meinung, man solle doch die Schulzeit verkürzen, indem man den Lernplan ändert. Sophia sagt dazu: „Ich möchte lieber mehr wichtigen Stoff lernen, den ich auch für mein Abi und für mein Leben brauche“. Auch die Lehrer merken, dass den Schülern recht viel Stoff an den Kopf geworfen wird. Eine Lehrerin am Corvey-Gymnasium meint dazu: „Ich finde die Anforderungen am Gymnasium schon recht hoch, und zwar nicht nur im Hinblick auf den fachlichen Anspruch, sondern auch hinsichtlich der Selbstorganisation und anderer allgemeiner Fähigkeiten. Ihr müsst viele Fächer im Blick behalten, eure Lernzeiten gut planen, stapelweise Material organisieren und und und.“ Dr. Janin Buchholz schlägt vor, man solle einen Ausgleich schaffen. „Im Alltag hilft es oft, für sich zu analysieren, wo man einen guten Ausgleich findet und diesen konkret in einen Wochenplan zu integrieren. Unterschiedliches kann unterstützen: Treffen mit Freunden, Sport, Bücher lesen, ausreichend Schlaf, Achtsamkeitsübungen oder Yoga.“

Auch Nico ist der Meinung, dass ein Ausgleich ganz hilfreich ist. „Ich finde man muss einen Ausgleich haben, damit man nach dem ganzen Lernen sich wieder ausleben kann und sich körperlich betätigen kann.“ An einen bestimmten Sport denkt er nicht. Nico meint, dass jeglicher Bewegungssport hilft, da es darum geht, dass der Körper gefördert wird.“