Leistungsdruck durch Videokonferenzen

Um halb Acht aufstehen, um Acht beginnt die Deutschkonferenz, danach schnell die Pause vor Englisch ausnutzen, um die die Geo-Aufgaben zu machen. Homeschooling ist keineswegs ein Vorwand fürs Schulschwänzen. Für viele ist es gerade noch mehr zu tun, als noch im Lockdown Nummer eins. Und das liegt nicht zu einem kleinen Teil an den Konferenzen.

Es kursiert bei vielen Eltern und Politiker*innen die Idee, dass man Schule mit Videokonferenzen ersetzen könnte.
Das klingt natürlich erstmal verlockend. Schüler*innen die Fragen haben oder Hilfe brauchen, können sich direkt an die Lehrer*innen wenden, ohne vorher umständlich eine Email schreiben zu müssen. Und die Eltern sehen endlich mal was vom Homeschooling ihrer Kinder. Wer aber ein mal tatsächlich in so einer Konferenz gewesen ist weiß, dass den Unterricht zu ersetzen unmöglich ist. Die Aufmerksamkeitsspanne hält niemals für anderthalb Stunden, was wahrscheinlich aber nur daran liegt, dass die Jugend von heute einfach verweichlicht ist und ihr Schulweg nicht ein tausendstel so lang wie der ihrer Eltern.
Abgesehen davon werden in den meisten Konferenzen auch nicht wirkliche Inhalte vermittelt. Die Lehrer*innen wollen nur mal sehen, wie es den Schüler*innen so geht, wie sie mit den Aufgaben zurechtkommen, diese im besten Fall mal vergleichen. Dass man dazwischen auch noch Aufgaben bearbeiten soll, gerät bei vier Videokonferenzen am Tag etwas in Vergessenheit. Und viele Politiker*innen kriegen hierbei wahrscheinlich Schnappatmung, aber für uns Schüler*innen war es im ersten Lockdown besser. Klar, einige (vor allem jüngere) Schüler*innen brauchen Konferenzen, um sich besser organisieren zu können, aber reicht hierfür eine Videokonferenz  am Tag nicht aus? Es ist das Gefühl von Leistungsdruck, von Stress was vermittelt wird, denn was passiert schließlich, wenn ich für eine Woche nicht wiederhole, dass sechs mal sieben zweiundvierzig ist, Malé die Hauptstadt der Malediven ist und dass es in Frankreich verboten ist, ein Schwein Napoleon zu nennen?
Wir müssen immer mehr arbeiten, dürfen in einer Pandemie nicht nachlassen, immer mehr Leistung erbringen. Dass alles erzeugt nunmal Stress und Druck, und Videokonferenzen, die teilweise pünktlich um 8:00 anfangen, sind einfach keine Lösung dafür. Man hat das Gefühl, die Politik brauchte so schnell wie möglich eine gute Alternative zu normaler Schule und ist nun unglaublich stolz, die Videokonferenzen eingeführt zu haben.

Während man im ersten Lockdown gemütlich um halb zehn aufgestanden ist, gefrühstückt hat und dann die Aufgaben auf Iserv angeschaut hat, müssen wir nun zack zack beim ersten Hahnenschrei aus dem Bett, Klamotten überziehen und schnell noch ein bisschen Milch in die Müslischale kippen, bevor man diese dann in der Videokonferenz leert.
Es ist typisch deutsch, dass wir selbst in einer Pandemie verzweifelt versuchen, irgendeine Struktur in alles zu bekommen; wann beginnt der Unterricht, wie viele Minuten sollte man im Homeschooling für eine Doppelstunde im Präsenzunterricht arbeiten? Man versucht, die Produktivität von uns zu steigern, indem man für mehr Druck sorgt.
Frei nach dem Motto: „Wenn die Schüler nicht genug Stress haben, sind sie nicht produktiv genug.“
Dabei ist Stress offensichtlich kontraproduktiv.
Daher unser Aufruf an die Lehrer*innen: Bitte überlegt euch noch einmal genau, ob ihr für jedes Fach eine Videokonferenz in der Woche braucht und ob die Videokonferenz auch wirklich um 8:00 anfangen muss. Ich weiß, Ihr eigenes Fach ist immer das wichtigste, aber einfach mal einen Gang zurückzuschrauben bedeutet für uns alle weniger Stress.
Nun muss ich verabschieden, denn gleich beginnt auch schon die MyVey-Konferenz.