Anonymität im Internet – von Musikkritik zum Nazi
Das Internet ist groß und vor allem anonym. Während man im echten Leben viel mehr in seiner eigenen sozialen Blase feststeckt und kategorisieren kann, weiß man über eine Person im Internet oft nichts.
Dass das von vielen Menschen für eigene Zwecke ausnutzen kann, sollte niemanden mehr überraschen.
Gerade was politische Gesinnungen angeht, kann man leicht extremisiert werden. Das zeigt sich aktuell beispielsweise in der Verschwörungstheoretiker-Szene. Was vielleicht harmlos beginnt, wird immer radikaler bis man schließlich einer Ideologie anhängt, die man vorher niemals unterstützt hätte. Wie real dieses Problem ist, hat sich uns MyVey-Redaktion vor einigen Tagen offenbart.
Die zweite Folge von „MyCupOfTea“ war veröffentlicht, das Thema: Rassismus.
Nach kurzer Zeit jedoch erreichte uns ein Kommentar von dem User „chontamenti“. Inhalt war die Frage, ob people of color „zurecht“ bei z.B. den Grammy Awards unterrepräsentiert sind. Oder wie die Person selbst es formuliert:
„Nennt mir doch mal eine Muskrichtung außer Rap/Hip Hop/R&B und Techno, in der Schwarze unterwegs sind? […] Ich kenne keinen Schwarzen, der Violine spielt, der Thrash Metal produziert oder Folk-Musik zum besten gibt.“
Diese Aussage allein fanden wir erst einmal merkwürdig. Gerade heutzutage gibt es schließlich viele schwarze Interpreten aus vielen verschiedenen Musikrichtungen und Fälle in denen eigentlich sehr beliebte Songs/Alben vermutlich aufgrund der Hautfarbe keinen Grammy bekamen sind auch bekannt. Doch das alles macht unseren Kommentarschreiber noch nicht zu einem Nazi. Allein der Fakt, dass man tatsächlich Argumente und Fakten bringen muss, um die Aussage zu widerlegen zeigt, dass so manch eine/r „chontamenti“ Recht gegeben hätte.
Nur wussten wir noch nicht mit Sicherheit, ob es sich nicht doch um einen Troll handelte, was nicht das erste mal gewesen wäre. So stöberte man also auf dem Kanal der Person herum und siehe da: Präsent auf der Hauptseite sieht man einige geteilte Videos wie „Mother Shot by Black Lives Matter“. Langsam macht sich zwar ein Bild klar, aber unbestreitbar gab es viele Fälle von Gewalt ausgehend von Black Lives Matter Demonstrant*innen, was natürlich nicht die ganze Bewegung und den Kampf gegen den Rassismus schlecht macht
Doch das Bild verfestigt sich mit mehr Videos mit Titeln wie „Gewalt von Zuwanderern gegen Deutsche nimmt zu“ oder „refugees purposeley making kids cry“. Sicher ist vieles hiervon nicht Fake News. Aber die selektive Auswahl an Themen gegen hauptsächlich Ausländer, zeigt schon eine bestimmte Sicht auf Flüchtlinge und damit auch die Gesinnung des Users. Ein weiteres Video, Thema ist angeblich gefälschte Trauer eines Grünen-Politikers über ein Attentat, stammt von dem YouTube-Kanal „Digitaler Chronist“, ein sehr rechter Kanal, der nicht nur gegen Linke hetzt, Trump supportet, sondern sich zuletzt auch immer wieder gegen die Corona-Maßnahmen auflehnt.
Tatsächlich hat „chontamenti“ auch zwei eigene Videos hochgeladen, beide zeigen Polizeigewalt von schwarzen Polizisten.
Dass sich so ein Mensch hinter dem obigen Kommentar versteckt würden viele wahrscheinlich nicht direkt denken, doch das alles ist erst die Spitze des Eisbergs. Ausgerechnet in der Musikplaylist wird alles noch eindeutiger. Ihr Name lässt bereits auf einiges schließen; sie heisst „military soundscapes“. Darin finden sich unter anderem viele Songs von der Band „Arditi“. Benannt wurde diese nach den gleichnamigen italienischen Sturmtruppen aus dem ersten Weltkrieg. Diese schlossen sich nachher hauptsächlich zu einer rechtsradikalen Organisation zusammen, die auch bei der Machtergreifung des faschistischen Diktators Mussolini halfen. Nicht genug heißt ein Lied der Band zum Beispiel „Order Of The Black Sun“. Die schwarze Sonne ist ein Symbol aus der rechtsextremen Szene, dass aus übereinander liegenden Hakenkreuzen besteht und von den Nazis entwickelt wurde. Unter einem anderen Video finden sich bei den ersten sechs Kommentare gleich zwei, die Siegrunen im Namen haben.
Je weiter man guckt, desto extremer wird es. Es ist verstörend, wie man von einem Kommentar, der auch von einem andersdenkenden Musikspezialisten hätte stammen können, hin zu offensichtlicher nationalsozialistischer Ideologie kommt
Während man im echten Leben einem solchen Menschen gar nicht erst eine Bühne bieten sollte, kann man im Internet fast gar nicht darauf achten. Dabei ist die Wahrheit oft gar nicht so versteckt. Aber wer macht sich schließlich die Mühe, die wir uns hier genommen haben, für jeden?